Fachkräftemangel —
Unternehmen brauchen einen Plan B und müssen ihre bisherige Personalarbeit drastisch überdenken

Impulsletter 02 / 2023 – C.Terbille

Die heutige Arbeitswelt hat sich verändert. Der Kampf um die „guten“ Kandidaten ist größer als je zuvor, die Fluktuation ist stark und die Anforderungen der Mitarbeitenden und Bewerber:innen haben sich massiv verändert. Mittlerweile reicht es nicht mehr, die Stellenanzeigen umzuformulieren. Personalarbeit muss in Summe anders gedacht werden.

In diesem Artikel stellen wir zehn Hebel zusammen, die Unternehmen helfen können, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Wir als Advyce & Perlitz begleiten seit Jahren Unternehmen dabei, ihre Strategien neu auszurichten und sich geänderten Marktanforderungen anzupassen. Und wie immer gilt: je frühzeitiger sich Unternehmen mit den geänderten Bedingungen auseinandersetzen und sich anpassen, desto größer ist die Chance auf Erfolg.

 

In vielen Branchen und Unternehmen hat der Fachkräftemangel Einzug gehalten. Eine Studie von Forsa und Xing E-Recruiting aus 2022 besagt: Jedes zweite Unternehmen hat in Deutschland ein Recruiting Problem und gibt an, größeren Herausforderungen bei der Personalsuche gegenüberzustehen als noch vor der Pandemie. Viele Unternehmen merken, dass sie mit ihren bisherigen Maßnahmen nicht mehr weiterkommen:

  • Die Bewerbungen junger Nachwuchskräfte auf ausgeschriebene Stellen bleiben aus.
  • Die Erwartungen der Bewerber:innen stoßen auf Unverständnis.
  • Die Personalengpässe führen zu Überlastungen und Unzufriedenheit in der vorhandenen Belegschaft.
  • Die betriebliche Fluktuation ist groß.
  • Ganze Unternehmensbereiche überaltern, da absehbar ist, dass die dortigen Mitarbeitenden in den nächsten 10 Jahren in Rente gehen und nicht hinreichend Nachwuchs gefunden wird.

Die klassischen Personalinstrumente scheitern, wie zum Beispiel das traditionelle Recruiting. Somit sollten die Unternehmen innehalten und einen Plan B entwickeln, um langfristig handlungsfähig zu bleiben. Wir haben in diesem Artikel zehn ausgewählte Hebel zusammengestellt, die Unternehmen, die aktuell unter Fachkräftemangel leiden oder diesen zukünftig fürchten, dringend für sich prüfen sollten (vgl. Abb. 1):

 

 

Abbildung 1: Hebel zur Bekämpfung des Fachkräftemangels

 

1. PERSONALBESTAND ANALYSIEREN

Eine strukturierte Erfassung der im Unternehmen vorhandenen Kompetenzen verschafft Transparenz darüber, wer was kann, und wer was tut. Sie ermöglicht, die Stärken und Schwächen der aktuellen Belegschaft zu erkennen.

Die bereits im Unternehmen tätigen Mitarbeiter:innen sind der wertvollste Schatz, den Unternehmen aktuell haben können. Daher muss hier eine gründliche Inventur gemacht werden: Wen habe ich an Bord und welche Aufgaben und Kompetenzen haben die einzelnen Mitarbeitenden? Erst nachdem diese Fragen beantwortet wurden, kann personalpolitisch fundiert geplant und entschieden werden und vielleicht sogar so manche Stelle mehr intern besetzt werden.

 

2. STRATEGISCH PLANEN

Das Thema Personalplanung – oder gar strategische Personalplanung – wird leider von vielen Unternehmen unterschätzt. Zwar gibt es einzelne Unternehmen, zum Beispiel im produzierenden Gewerbe und der Pflege, die sehr detailliert ihre Schichten planen. Doch wenn es um die Planung von kaufmännischen und akademischen Fachkräften geht, steuern die meisten Unternehmen im Nebel. In der aktuellen Situation brauchen Unternehmen jedoch mehr denn je Klarheit über die zu erwartenden Lücken und Risiken in den verschiedenen Jobfamilien und Kompetenzen der Belegschaft in der Zukunft. Eine strategische Personal- und Einsatzplanung, die auf der Bestandsanalyse und den strategischen Zielen des Unternehmens aufsetzt, hilft ihnen dabei, diese Transparenz zu erzeugen, um gezielt Maßnahmen einleiten und Mittel fokussieren zu können, um zukünftig richtig aufgestellt zu sein. Hierbei geht es vor allem darum, die Anforderungen des Unternehmens an die zukünftige Fachkräftebesetzung zu erfassen und erst im nächsten Schritt, danach zu suchen. Durch frühzeitiges Handeln, gute Planung und Priorisierung können größere Engpässe verhindert werden.

 

3. SUCHPROFIL ÜBERDENKEN

Die bisherigen Recruiting-Bemühungen in den meisten Unternehmen sind auf den durchschnittlichen Bewerber ausgerichtet und stammen häufig aus Zeiten, in denen der Arbeitsmarkt noch ein Arbeitgebermarkt war. Nach wie vor wird in Stellenausschreibungen mit guter Bezahlung und interessanten Jobinhalten geworben. Um jedoch heute die guten Bewerber:innen nicht an die Konkurrenz zu verlieren, sollte gezielt überlegt werden, in welcher Zielgruppe das Unternehmen je Job suchen möchte. Entsprechend müssen die Maßnahmen angepasst werden. Möchte man für den einen Job eher den weiblichen Teil der Bevölkerung ansprechen, oder gezielt die Generation Z, eine Fachkraft aus dem Ausland oder für einen anderen Job eher rentennahe Mitarbeiter:innen? Wenn Unternehmen das Thema Diversity ernst nehmen, dann wird ihnen das nicht nur unternehmensintern Vorteile bringen, sondern es wird ihnen die Suche nach den „guten“ Bewerber:innen im Arbeitsmarkt erleichtern.

 

4. ARBEITGEBERMARKE SCHÄRFEN

Unternehmen, die bisher sehr erfolgreich in der Personalgewinnung waren, merken jetzt, bei einem enger werdenden Arbeitsmarkt, dass bisherige Employer Brand Strategien scheitern. Viele der bisher verwendeten Verkaufsargumente greifen im heutigen Arbeitnehmermarkt nicht mehr. Noch immer fragen Unternehmen im Bewerbungsgespräch „Warum möchten Sie zu uns?“ oder „Warum sollten wir uns für Sie entscheiden?“ obwohl sie viel eher heute den Bewerber:innen die Frage beantworten müssen: „Warum sollten Sie zu uns kommen?“ und „Warum sind wir für Sie genau der richtige Arbeitgeber?“ Unternehmen müssen sich heute gleichermaßen bei den Bewerber:innen vorstellen und nur, wenn sie die richtigen Argumente platzieren, schaffen sie es, den Bewerber:innen für sich zu gewinnen. Dafür ist es wichtig, die Bedürfnisse der heutigen Bewerber:innen zu verstehen. Die Generation Z hat andere Erwartungen an Arbeitgeber als die Generationen vor ihr. Findet man in der bisher definierten Zielgruppe nicht mehr genügend Bewerber:innen, müssen Unternehmen ihre Suche auf andere Zielgruppen ausweiten, um erfolgreich zu sein. Für diese brauchen sie jedoch andere Verkaufsargumente im Recuriting – und noch viel wichtiger: um die Bewerber:innen nicht gleich wieder zu verlieren, müssen die Unternehmen halten, was sie im Vorstellungsgespräch versprechen. Um zum Beispiel die weiblichen 50% der Bevölkerung für sich zu gewinnen oder die Generation Z, oder die senioren Mitarbeiter:innen (die „Talente in Rente“), die man über den Renteneintritt hinaus an sich binden möchte, muss man die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe verstehen, den jeweiligen USP des Unternehmens für die jeweilige Gruppe herausarbeiten und die Arbeitgebermarke nach außen entsprechend glaubhaft verändern. Und eine glaubhafte Arbeitgebermarke nach außen kann man nur verändern, wenn man diese intern lebt. Daher darf bei allen Bemühungen in Richtung Arbeitsmarkt nicht vergessen werden, auch die interne Kultur entsprechend anzupassen.

 

5 . RECRUITINGPROZESS VERBESSERN

In den meisten Unternehmen sind die aktuellen Recruiting-Maßnahmen auf junge und motivierte Bewerber:innen ausgelegt, die um den Arbeitsvertrag im Unternehmen kämpfen. In der aktuellen Arbeitsmarktlage muss der Recruiting-Prozess zu einem „Positiv-Erlebnis“ werden. Ein Fehler an dieser Stelle sorgt für ein Abspringen potenzieller Kandidat:innen. Es werden direkte Rückmeldungen und schnelle Antwortzeiten erwartet, das bisherige „Kandidatenmanagement auf Aktenlage“ muss sich zu einem „Kundenmanagement“ wandeln. Der Recruiting-Prozess, den jede Bewerberin und jeder Bewerber durchläuft, muss inspirierend, begeisternd und absolut wertschätzend gestaltet sein. Zudem sollten Unternehmen den Kontakt zu grundsätzlich interessanten Kandidat:innen, die nur für eine einzelne Stelle nicht gepasst haben, unbedingt halten.

 

6. ARBEITSMODELLE ÜBERARBEITEN

Die Coronazeit hat nicht nur dazu geführt, dass viele Unternehmen flexiblere Arbeitszeitmodelle eingeführt haben. Sie haben auch die Erwartungshaltung der Mitarbeiter:innen an flexible und neue Arbeitszeitmodelle gesteigert. Hiermit sind nicht nur Modelle gemeint, die Mitarbeitenden zum Beispiel im Verlauf einer Woche die Möglichkeit geben, die Büroanwesenheit und die Arbeit im Homeoffice, sowie seine Start- und Endzeiten flexibel zu gestalten. Sondern es steigt zudem die Erwartung, dass Unternehmen unterschiedliche Vertrags- und Arbeitsmodelle je nach Lebenssituation der Mitarbeitenden anbieten können. Der eine Mitarbeiter möchte nur vier Tage in der Woche arbeiten, die andere nur bis zu einer bestimmten Uhrzeit, der dritte möchte sich sozial engagieren oder phasenweise mehr Zeit für die Familie haben für die Erziehung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen, die vierte möchte während der Rente noch im kleinen Stundenmodell dazuverdienen und der fünfte möchte gerne eine Führungsposition in Teilzeit im Tandem wahrnehmen. Für alle diese Anforderungen funktionieren keine Standard Vertrags- oder Arbeitszeitmodelle mehr, sondern jedes Unternehmen sollte Mitarbeitenden ein interessantes Portfolio mit unterschiedlichen Bausteinen anbieten können (vgl. Abb. 2).

 

Abbildung 2: Bausteine moderner Arbeitswelten

 

Unternehmen behaupten häufig vordergründig, flexibel zu sein, was diese Modelle betrifft und dass sie sich um die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen bemühen. Im akuten Fall stoßen sie aber häufig an ihre Grenzen bei Vertragsgestaltung, Steuerung und Führung, Einsatzplanung, Gleichberechtigung im Team, Vergütung, Entwicklungspfaden und der Performancebewertung. Schaffen es Unternehmen, hier transparente, klare und faire Arbeitsmodelle zu implementieren, ist dies in der aktuellen Zeit nicht nur ein erhebliches Instrument zur Personalbindung, sondern hilft zudem, die Anwerbung der begehrten Kandidat:innen zu fördern.

 

7. RESSOURCEN FLEXIBILISIEREN

Viele Unternehmen leiden unter ihren statischen Strukturen und es fehlt ihnen die Erfahrung und die Instrumente, um Arbeit im Unternehmen zu flexibilisieren und die Mitarbeitenden bedarfsgerecht und, über Organisationseinheiten hinweg, übergreifend einzusetzen. Agile Organisationsstrukturen waren ein erster Ansatz, aber häufig scheitern die Unternehmen dennoch am Silo und Budgettopf-Denken. Auf Basis der strategischen Personal- und Einsatzplanung können Personallücken und -überhänge frühzeitig erkannt werden. Die Personalbestandsanalyse kann die vorhandenen Kompetenzen der Belegschaft offengelegen. Ergänzt man diese Instrumente noch durch geeignete Steuerungsinstrumente zur flexiblen Einsatzplanung, wie einen Ressourcenmanagement-Zirkel und „Stellwerk“-Regeln, wird der bedarfsgerechte Einsatz und die bedarfsgerechte Qualifizierung der Mitarbeitenden zur Normalität.

 

8. PERSONALFÜHRUNG VERBESSERN

Auch wenn schon immer ein enger Austausch mit den einzelnen Mitarbeiter:innen eines der wichtigsten Führungs- und Retention-Instrumente war, ist es jetzt wichtiger geworden als je zuvor. Nur wenn Unternehmen die Bedürfnisse, Erwartungen und Vorlieben ihrer Mitarbeiter:innen kennen und regelmäßig reflektieren, können sie langfristig motiviert und an das Unternehmen gebunden werden. Und jeder Mitarbeitende, der auf dem Weg verloren geht, kann aktuell nicht oder nur schlecht ersetzt werden. Daher gilt es zu motivieren, zu investieren und Perspektiven zu schaffen. Den Satz „Dann geht er oder sie halt.“ können sich die wenigsten Unternehmen heute noch leisten.  Durch die Anpassung der Arbeitsbedingungen an die Bedürfnisse der Mitarbeiter:innen und die Bereitstellung von Weiterbildungsmöglichkeiten und Perspektiven können Unternehmen ihre Mitarbeitenden motivieren, sich weiterzuentwickeln und so ihre Fähigkeiten zu erweitern.

 

9. PERSONALBINDUNG AUSWEITEN

Die Unternehmensfamilie sollte weiter gefasst werden als bisher, um das Netzwerk potenzieller Kandidat:innen zu erweitern. Angefangen beim interessanten, aber für den einen Job abgelehnten Kandidat:innen sollte auch der Kontakt zu ausgeschiedenen Mitarbeitenden und Führungskräften nicht abreißen. Netzwerkpflege ist auch hier das A und O. Dazu gehören Praktikant:innen und Werkstudent:innen ebenso wie Mitarbeitende, die in Rente gehen: Ist die Person grundsätzlich interessant für das Unternehmen, sollte der Kontakt aufrecht gehalten und gepflegt werden. Diese Netzwerkpflege ist aufwändig, zeigt sich aber als zielführend bei Unternehmen, die diese beherrschen. Neben klassischen Events für die Unternehmensfamilie, sind zudem regelmäßige 1:1 Kontaktpunkte sinnvoll. Hier sind sowohl klug zusammengesetzte „Blind Dates“ interessant, sowie gezielt gesetzte Kontaktpunkte, Einladungen zum Shadowing oder die Teilnahme an Befragungen oder eine Einbeziehung als Meinungsgeber. Betreibt man diese Netzwerkpflege erfolgreich, steigen die Rehiring-Raten erheblich.

 

10. GESCHÄFTSMODELL ERNEUERN

Wenn selbst nach der Berücksichtigung aller voran genannten Hebel keine Besserung bei der Gewinnung der Fachkräfte erkennbar ist, sollte zumindest ein Versuch unternommen werden, das Geschäftsmodell an sich zu überdenken bzw. zu modernisieren. Findet zum Beispiel der Bäckereibetrieb für die Nacht- und Frühschichten immer schwerer Personal, können vielleicht Lösungen in der vollen oder partiellen Automatisierung des Produktionsprozesses oder in der Verkürzung der Wertschöpfungskette gefunden werden.

 

Unser Fazit

Insgesamt gibt es verschiedene Möglichkeiten, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Unternehmen, die sich frühzeitig mit diesem Thema auseinandersetzen und die genannten Hebel gezielt einsetzen, haben beste Chancen, geeignete Fachkräfte erfolgreich zu finden und zu halten.

Advyce & Perlitz begleitet regelmäßig Unternehmen und erarbeitet mit ihnen gemeinsam zielgenaue und innovative Lösungen. Mit unserer HR Planner Suite bieten wir zusätzlich die notwendigen IT-Tools, um den Prozess zu begleiten. Die HR Planner Suite beinhaltet nicht nur ein Tool zur gezielten Personalbestandsanalyse, sondern zudem ein Tool, die strategische Personal- und Einsatzplanung strukturiert zu begleiten.

Sprechen Sie uns an. Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen.

 

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