
Start-ups, M&A und IPOs –
Zehn Fragen an Christian Gisy
Impulsetter 08 / 2021
Was war für Sie der Beweggrund, zu Autodoc zu gehen?
Das war relativ einfach. Zum einen habe ich mich über etwa 15 Monate mit den drei Gründern immer wieder unterhalten und getroffen, zum anderen war ich nur dann bereit, nochmal CEO zu werden, wenn das Unternehmen großes Potenzial hat und z.B. in der Zukunft einen Börsengang plant. So kam alles zusammen, zusätzlich zu einem durchaus lukrativen Paket, und ich habe entschieden, dass ich mir vorstellen kann, dort einzusteigen. Ich hatte sehr viele Angebote in dieser Phase, habe aber alles abgelehnt und wollte mich eigentlich nur noch auf die Themen Aufsichtsrat oder Beirat fokussieren. Aber das war eine der Gelegenheiten, die sehr selten kommen.
Wenn Sie zurückblicken, was waren die wichtigsten Erfahrungen für die ersten 100 Tagen bei Autodoc?
Das Wichtigste, wenn man sich in ein Unternehmen begibt, ist es, das Unternehmen kennenzulernen. Das heißt, erstmal keine Entscheidungen zu treffen, sondern die Dinge auf sich wirken zu lassen – also zum Beispiel zu verstehen, wie Entscheidungsprozesse laufen, was für eine Kultur das Unternehmen hat und wo die Epizentren, nicht die Machtzentren, liegen. Wie ist das Powerplay? Dass man sich selbst die Zeit nimmt zu beobachten und zu verstehen, um später sinnvoll eingreifen zu können, anstatt dem Unternehmen sein Playbook aufzudrücken, ist in den ersten 100 Tagen besonders wichtig, denke ich. Das hat bisher in allen Stationen immer sehr gut für mich funktioniert, weil ich mir damit den Respekt der Menschen erarbeitet habe.
Wie wichtig ist es, dass Gründer sich frühzeitig die Frage stellen, welche Rolle sie selbst mittel- bis langfristig im Unternehmen spielen wollen?
Ich halte das persönlich für sehr wichtig. So smart wie die Jungs sind, haben sie festgestellt, dass sie jetzt an ihre Grenzen kommen mit dem, was sie aufgebaut haben. Sie könnten es auch weiter machen, aber sie merken selbst, dass sie jetzt an einen Punkt gelangen, wo es für das Unternehmen nicht mehr unbedingt gut ist, weil jetzt das Wachstum oder anstehende Entscheidungen gegebenenfalls nicht mehr so positiv geprägt werden können wie in der Vergangenheit. Wenn ein Gründer das für sich erkennt, ist das sehr gut. Die meisten negieren das, weil sie glauben, dass sie unersetzbar sind oder dass das Unternehmen ohne sie nicht überleben kann.
Dann ist die Co-CEO-Rolle wie bei Ihnen ein guter Zwischenschritt, um irgendwann ganz rauszugehen?
Ja, das glaube ich. Mit der Co-Rolle erreicht man zwei Dinge: Auf der einen Seite nimmt man einen gewissen Druck von einer Person wie mir weg und auf der anderen Seite signalisiert man dem Unternehmen, dass jetzt jemand Neues da ist, ohne dass die Gründer sofort weg sind. So schafft man eine „smoothe“ Transition. Ob dies immer das beste Modell ist, hängt davon ab, wie das gesamte Setup ist und wie sich die Betroffenen verstehen. Ich habe das Glück, dass wir über 15 Monate in Kontakt standen und uns darüber angenähert haben, deshalb sind wir sehr gut abgestimmt.
Vor dem Hintergrund Ihrer umfassenden Erfahrung im Bereich Marktplätze: Wie hat sich das Geschäftsmodell des Online-Handels über die letzten Jahre verändert?
Wenn man nur ein paar Jahre zurückgeht, hat das Thema damals in der Zeitung stattgefunden bevor die Listings ins Internet übertragen wurden und so eine viel größere Reichweite und Visibilität bekamen. Das waren die Anfänge. Abhängig davon, ob Vertikalisierung oder Horizontalisierung im Vordergrund steht, hat man angefangen, die Marketplaces um weitere Dienstleistungen anzureichern, also das Ökosystem zu erweitern. Wenn ich z.B. eine Immobilie suche, kann ich zusätzlich den Umzug oder eine Finanzierung damit verbinden. Das gleiche gilt auch fürs Auto. Unser Spezifikum ist nun, dass wir als E-Commerce Unternehmen eine Vertikale sind, weil wir uns auf ein einziges Produkt fokussieren, nämlich Autoteile. Dort gehen wir in die Tiefe, das heißt wir haben ein hohes Fachwissen und ein hohes Produktaufkommen, was uns von Wettbewerbern wie Amazon oder Ebay unterscheidet, die als Marketplace ganz viele Branchen abdecken. Deswegen sind wir kein klassischer Marketplace, sondern sind im Rahmen des E-Commerce vertikal und versuchen, das Ökosystem in dieser Vertikalen zu prägen. Heute ist es noch ein klassisches B2C Modell, irgendwann wird es dann B2B sein, wo wir dem Konsumenten die Möglichkeit geben, an das Thema B2B ganz anders ranzugehen, z.B. mit Ratings für Garagen. Das ist die längerfristige Strategie, um sicherzustellen, dass dieser Markt digital wird und dass wir die Disruption, mit der wir angefangen haben, zu einem guten Ende bringen. Es geht ja nicht nur darum, ein Geschäft zu machen, sondern das Ziel ist immer, den Konsumenten bestmöglich zu bedienen. Was für jeden Einzelnen bestmöglich bedeutet, ist nicht unsere Aufgabe zu definieren, aber wir müssen als Unternehmen eine Plattform bieten, auf der jeder seine bevorzugte Lösung findet und wahrnehmen kann. Das ist es, wofür wir stehen.
Hat M&A als Werkzeug für die Strategieumsetzung an Bedeutung gewonnen?
Das glaube ich. Denn viele der zusätzlichen Dienstleistungen entstehen durch Make-or-Buy Entscheidungen und bei vielen komplexeren Themen geht die Tendenz zu „Buy“, auch weil man Produkte und Menschen „mitkauft“ und versucht, diese durch z.B. API’s direkt ans Unternehmen anzubinden. Deswegen glaube ich, dass das Thema M&A zugelegt hat, wobei man auch sehen muss, dass auf den klassischen Classified Marketplaces, verglichen mit anderen Branchen, relativ wenig Transaktionen stattfinden. Das liegt daran, dass es sich um recht spezielle Geschäfte handelt, die zwar national ausgeprägt sind, aber einen sehr lokalen Charakter haben. Deswegen glaube ich, dass man im Classified Bereich etwas zurückhaltender ist. Aber wenn man über das System als solches nachdenkt, ergibt es sicherlich Sinn, dass M&A an Bedeutung gewonnen hat. Da hat es auch in jüngerer Zeit immer mal größere Transaktionen gegeben.
Ihr Name ist natürlich auch mit dem Begriff IPO verknüpft – wie sehen Sie aktuell das Marktumfeld?
Ich glaube, MeinAuto beispielsweise hatte Pech. Die sind genau in eine Phase hineingekommen, wo der Markt ganz oben stand und dann tief gefallen ist. Inflationssorgen sind natürlich für Unternehmen, die hoch bewertet sind, immer ein Problem und aufgrund der Menge der Börsengänge aktuell würde ich sagen, dass Investoren etwas wählerischer werden, weil sie wissen, dass viele Assets auf den Markt kommen. Fakt ist allerdings, dass der Kapitalmarkt, solange die FED und die EZB die Märkte weiter fluten und aufgrund von Inflationssorgen keine Signale für eine Zinserhöhung setzen, nur diese eine Richtung kennt. In dem Moment, in dem man versucht, durch die Erhöhung der Zinssätze etwas Luft aus dem Markt zu nehmen, verändert sich natürlich schnell die DCF [Discounted Cash Flow] Bewertung. Das heißt, Unternehmen, die sehr hoch bewertet sind, haben eine ganz andere Fallhöhe. Dann gehe ich als Investor natürlich mehr in die Value Stocks und bekomme für meine 10-jährigen Anleihen wieder etwas mehr Geld. Dadurch fangen Investoren an, aus riskanten Investments wieder zu weniger riskanten Investments zu wechseln. Das ist im Grunde immer der gleiche Zyklus, der da abläuft.
Aktuell ist keine IPO-Diskussion ohne das Buzzword „SPACs“ zu führen – was halten Sie generell von SPACs?
Nichts. Da bin ich deutlich, weil ich glaube, dass eine SPAC (Special Purpose Acquisition Company) ausschließlich dazu dient, anderen Leuten Geld in die Taschen zu füllen, und zwar denjenigen, die die SPAC geraised haben. Ich persönlich halte davon gar nichts und ich bin überzeugt, dass viele SPACs mit ihren Geschäftsmodellen, wie z.B. gerade in Amerika vor allem im Bereich Elektromobilität, zusammenbrechen. SPACs dienen sicherlich einer Art der VC Finanzierung über die Börse. Das sehe ich kritisch, denn ich denke, die Börse hat eine andere Funktion als Risikokapital im sehr frühen Stadium zu stellen. Beispielsweise bei Lilium oder bei Volocopter ist doch die Frage, ob das so jemals ein Geschäftsmodell wird oder woher die Milliarden-Bewertungen kommen. Am Ende ist das in dieser Form nicht nachhaltig.
Wenn bei Ihnen der Börsengang ansteht, ist dann auch die Euronext oder die NASDAQ eine Überlegung – oder ist Frankfurt die klare Wahl?
Man muss sich schon die verschiedenen Börsen angucken, wobei für mich die wichtige Entscheidung zwischen Europa vs. USA liegt. Die Frage ist, ob ein Unternehmen wie wir im Hinblick auf seine Bewertung und den Zugang zu lokalen amerikanischen Investoren davon profitiert, nach Amerika zu gehen. Das ist eine Frage, die man sich aus meiner Sicht stellen muss, und die wir uns auch stellen werden. Die Euronext bringt nichts, Frankfurt ist liquide genug, hat einen guten Ruf und inzwischen auch von digitaler Seite ein paar gute Unternehmen am Start. Daher sehe ich die Abwägung zwischen NASDAQ und Europa, wobei ausschlaggebend ist, wo kurz-, mittel- und langfristig durch Visibilität oder Risikobereitschaft der Investoren eine höhere Bewertung erzielt werden kann. Ansonsten hat man auch über ein klassisches Frankfurt-Listing mit der 144a-Regel Zugang zu vielen amerikanischen Investoren.
Stichwort Neuer Markt: Fehlt Ihnen – als Kind der New Economy – etwas an der heutigen Börsenlandschaft?
Die Frage ist ja, warum wir überhaupt immer wieder neu aufsetzen, obwohl es sich nicht durchsetzt. Die Investoren können meist aufgrund der Regularien gar nicht investieren, deshalb ist das für mich, ähnlich wie beim SPAC-Thema, ein VC-orientiertes Geschäft. Aus meiner Sicht muss ein Unternehmen, das an die Börse geht, ein „proven“ Geschäftsmodell haben. Es muss nicht zwingend profitabel sein, aber es muss auf jeden Fall zeigen, dass es einen Riesen-Markt hat und dass es in der Lage ist, diesen Markt für sich zu gewinnen und mit dem entsprechenden Umsatz zu belegen. Viele diskutieren beispielsweise über das Thema Delivery Hero. Die könnten theoretisch morgen bestimmte Hähne abdrehen und dann sofort profitabel sein, was aber für ihr Wachstum nicht gut wäre. Deswegen muss man das sehr differenziert betrachten. Ich glaube aber, dass kleine Unternehmen mit einer geringen Marktkapitalisierung da nicht weit kommen und dass ihnen eine Börsennotierung auch gar nicht hilft, weil sie auf einmal eine viel höhere Transparenz an den Tag legen müssen. Das ähnelt dann eher einer Operation am offenen Herzen und es stellt sich die Frage, wofür man das überhaupt macht.
Zur Person
Christian Gisy, ehemaliger CEO der CinemaxX AG, CFO der WaveLight GmbH, VIVA Media AG sowie Architekt und CFO des Börsengangs von Scout24 ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von ADVYCE.
Gisy greift zurück auf umfangreiche Führungserfahrung in börsennotierten Unternehmen sowie Transformationsprojekten und gilt als erfahrener Spezialist in Controlling und Risk Management Themen. Gegenwärtig ist er Co-CEO der Autodoc GmbH.
Das Interview als Download hier

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